STEUERRECHTLICHE ZINSEN
AUTOHAUS ARTIKEL VOM 26.06.2023

Im Juni/ Juli 2022 hat der Bundestag und der Bundesrat das Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung verabschiedet. Darin wird vor allem der neue Zinssatz nach § 233a Abgabenordnung (AO) geregelt (wir berichteten).
Hintergrund:
Das Bundesverfassungsgericht hat Mitte August 2021 entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen in Höhe von 0,5 % pro Monat seit dem 01.01.2014 verfassungswidrig ist, wobei zu berücksichtigen ist, dass für Verzinsungszeiträume vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2018 die bisherige Verzinsung jedoch weiterhin gilt. Erst für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 muss der Gesetzgeber eine Neuregelung bis zum 31.07.2022 vorlegen.
Das Gesetz sieht jetzt vor, dass für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 rückwirkend ein Zinssatz von 0,15 % pro Monat (1,8 % pro Jahr) angesetzt wird. Sind für einen Zinslauf unterschiedliche Zinssätze maßgeblich, ist der Zinslauf in Teilverzinsungszeiträumeaufzuteilen, für die die Zinsen jeweils tageweise zu berechnen sind. Hierbei wird jeder Kalendermonat unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Kalendertage mit 30 Zinstagen und jedes Kalenderjahr mit 360 Tagen gerechnet. Die Angemessenheit des Zinssatzes ist unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB alle 2 Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume zu evaluieren, erstmals zum 01.01.2024. Weiterhin wird die bisherige einjährige Festsetzungsfrist für Zinsen auf zwei Jahre verlängert.
Keine Änderungen gibt es hingegen bei den Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen. So lautet die Gesetzesbegründung dazu: „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich ausdrücklich nicht auf andere Verzinsungstatbestände nach der Abgabenordnung zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO.
Die Frage, ob auch für andere Zinsen nach der AO oder den Einzelsteuergesetzen als Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO sowie für Säumniszuschläge nach § 240
AO eine Neuregelung des Zinssatzes erfolgen soll, soll nicht
in diesem Gesetz beantwortet werden.“
Höhe der Säumniszuschläge – unterschiedliche Auffassungen der BFH-Senate
BFH-Beschluss vom 23.05.2022 – ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
Nach dem Gesetz, § 240 der Abgabenordnung betragen die Säumniszuschläge für jeden angefangenen Monat der Säumnis 1 % pro Monat.
Der V. Senat des Bundesfinanzhofes (BFH) (u.a. zuständig für Umsatzsteuer, Versicherungssteuer, etc.) beschloss am 23.05.2022, dass er ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge hat, zumindest soweit sie nach dem 31.12.2018 entstanden sind.
Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung des BFH zu Grunde. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen und nicht erlassenen Säumniszuschläge. Der Steuerpflichtige beantragte die Erteilung von Abrechnungsbescheiden für alle angefallenen Säumniszuschläge, da diese hinsichtlich des Zinsanteils und des Druckcharakters verfassungswidrig seien. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das Finanzamt ab, das Finanzgericht gab dem AdV-Antrag lediglich hinsichtlich der hälftigen nach dem 31.12.2018 entstandenen Säumniszuschläge statt und ließ die Beschwerde zum BFH zu. Der BFH gab dem AdV-Antrag in Gänze statt, da der Senat bei einer summarischen Prüfung des Sachverhaltes ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge hat. Nach Ansicht des BFH haben Säumniszuschläge eine zinsähnliche Funktion und dementsprechend gibt es, ähnlich wie bei den Nachzahlungs- und Erstattungszinsen ab dem 01.01.2019 verfassungsrechtliche Bedenken ob der Höhe von 6 % pro Jahr.
BFH-Beschluss vom 28.10.2022 - keine verfassungsrechtlichen Bedenken
Der VI. Senat des Bundesfinanzhofes (BFH) (u.a. zuständig für Einkommensteuer, etc.) hat entschieden, dass bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge bestehen.
BFH-Urteil vom 15.11.2022 - keine verfassungsrechtlichen Bedenken
Der VII. Senat des Bundesfinanzhofes (BFH) (u.a. zuständig für Zölle und Verbrauchsteuern, etc.) hat mit Urteil vom 15.11.2022, das am 30.03.2023 veröffentlicht wurde, entschieden, dass die Höhe der Säumniszuschläge verfassungsgemäß ist.
Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung des BFH zu Grunde.
Der Kläger wurde im April 2016 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners Z bestellt. Im Juni 2016 meldete das Finanzamt verschiedene Abgabenforderungen zur Tabelle an, u.a. auch Säumniszuschläge für den Zeitraum März 2015 bis April 2016. Der Kläger bestritt die vom FA angemeldeten Forderungen im Prüfungstermin im Juli 2016. Mit Schreiben vom 07.09.2017 erließ das FA wegen der Insolvenz die Hälfte der zur Insolvenztabelle angemeldeten Säumniszuschläge. Über die andere Hälfte erging ein Feststellungsbescheid. Gegen diesen wendete sich der Kläger im Rahmen eines Einspruchsverfahrens und einer Klage vor dem Finanzgericht, jedoch ohne Erfolg.
Zur Begründung der Revision vor dem BFH trägt der Kläger vor, Säumniszuschlägen würden in ihrer Funktion als Druckmittel gegenstandslos, wenn der Steuerschuldner aufgrund Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nicht mehr zur rechtzeitigen Zahlung angehalten werden könne. Deshalb seien dem Steuerschuldner in einem solchen Fall ‑ wie hier geschehen ‑ 50 % der Säumniszuschläge nach § 227 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Dieser Erlass bewirke rechnerisch eine Verminderung der Säumniszuschläge von 12 % p.a. auf 6 % p.a. und orientiere sich nach der Rechtsprechung des BFH an der Höhe der Zinsen im Falle der Aussetzung der Vollziehung oder der Stundung. Damit würden 50 % der Säumniszuschläge rechnerisch ein fester Zinssatz, nämlich 6 % p.a., zugewiesen. Die Feststellung der Säumniszuschläge in Höhe von 6 % p.a. sei nicht verfassungsgemäß.
Die Revision wurde vom BFH unter anderem wegen nachfolgender Gründe als unbegründet zurückgewiesen:
- Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 08.07.2021 herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO in Höhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen.
- Säumniszuschläge nach § 240 AO lassen sich mit der Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen nach §§ 233a, 238 AO nicht vergleichen. Hinsichtlich der Säumniszuschläge fehlt es bereits an einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte; eine Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Steuerpflichtigen ist mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht gegeben.
- Der im Vergleich zu den Zinsen doppelt so hohe Säumniszuschlag ist in erster Linie ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern und erfüllt primär eine pönale Funktion. § 240 AO verfolgt das Ziel, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungsaufwand der Finanzbehörden auszugleichen.
- Die Ausführungen des BVerfG, mit denen es eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO, abgelehnt hat, lassen sich zudem auch auf Säumniszuschläge nach § 240 AO übertragen.
Hinweis:
In dem obigen Fall hat der VII. Senat des BFH die Revision zurückgewiesen, interessant ist, dass vor dem X. Senat des BFH ebenfalls ein Revisionsverfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge anhängig ist, es bleibt abzuwarten, wie der X. Senat entscheidet.
Maximilian Appelt
Rechtsanwalt | Steuerberater
Kurzfassung:
1. Für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 wird rückwirkend ein Zinssatz von 0,15 % pro Monat (1,8 % pro Jahr) angesetzt.
2. Die Angemessenheit des Zinssatzes ist unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB alle 2 Jahre mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume zu evaluieren, erstmals zum 01.01.2024.
3. Bei der Höhe der Versäumniszuschläge haben die unterschiedlichen Senate des BFH verschiedene Ansichten, ob diese verfassungsgemäß oder -widrig sind.
Kommentar:
In zwei Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) Münster haben sich die Kläger gegen die Höhe des Aussetzungszinssatzes von 0,5 % pro Monat gewendet (hier gibt es keine gesetzliche Neuregelung) und vorgebracht, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit von Nachzahlungszinsen auch auf Aussetzungszinsen anzuwenden sei. Beide Senate des FG haben jedoch keine verfassungswidrigen Bedenken. Das Urteil des 3. Senates ist rechtskräftig, gegen das Urteil des 6. Senates ist eine Revision beim BFH anhängig, auch hier bliebt es spannend.
Barbara Muggenthaler
Wirtschaftsprüferin | Steuerberaterin