STEUERLICHER DIGITALISIERUNGSZWANG
GW-TRENDS VOM 08.05.2024
Mit dem in diesem Frühjahr vom Gesetzgeber beschlossenen Wachstumschancengesetz rollt auf alle Unternehmen eine große Digitalisierungswelle zu – ob dies nun gewollt ist oder nicht. Kern der anstehenden Neuerungen ist die Verpflichtung, zunächst im inländischen B2B-Bereich sogenannte „eRechnungen“ auszustellen. Rechnungen an Privatkunden sind somit nicht betroffen. Die Erstellung von eRechnungen (oder Rechnungen in einem anderen elektronischen Format) kann jedoch auch bei allen anderen Kunden, die nicht Unternehmenskunden sind, mit deren Zustimmung durchgeführt werden.
Unter „eRechnungen“ versteht der Gesetzgeber dabei Rechnungen, die in einem bestimmten elektronischen Format erstellt, übermittelt und empfangen werden und somit eine elektronische Verarbeitung ermöglichen. Alle anderen Rechnungen – egal ob auf Papier oder in einem anderen elektronischen Format an den Kunden übermittelt – werden dagegen zukünftig als „sonstige Rechnungen“ bezeichnet.
Hinsichtlich des elektronischen Formats der neuen eRechnung will der deutsche Gesetzgeber keinen eigenen Weg gehen. So muss die eRechnung der europäischen Norm für die elektronische Rechnungsstellung und der Liste der entsprechenden Syntaxen gemäß der Richtlinie 2014/55/EU vom 16. April 2014 (und damit der CEN-Norm EN 16931) entsprechen. Diese gibt wiederum auch das Format der elektronischen Rechnung vor, welche gemäß den Plänen der EU-Kommission zukünftig für innergemeinschaftliche Lieferungen und Leistungen im B2B-Bereich erstellt werden soll. Die Finanzverwaltung hat bereits klargestellt, dass aktuelle Standards wie die XRechnung oder ZugFerd-Rechnungen (letztere ab der Version 2.0.1) grundsätzlich eine Rechnung in einem strukturierten elektronischen Format darstellen, welche der europäischen Norm entsprechen. Wie der Bundesrat darauf hingewiesen hat, wird diese europäische Norm derzeit zwar noch einmal überarbeitet. Allerdings ist aktuell noch nicht abzusehen, wann diese Überarbeitung abgeschlossen sein wird.
Eine Ausnahme zur eRechnung besteht lediglich für Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger, die ein eigenes elektronisches Übertragungsformat vereinbaren (EDI-Verfahren), sofern das vereinbarte Format die nach dem Umsatzsteuergesetz notwendigen Angaben beinhaltet und in das eRechnungs-Format umwandelbar bzw. ebenso verarbeitbar ist. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber klargestellt, dass Fahrausweise und Kleinbetragsrechnungen (derzeit nicht mehr als EUR 250) stets als „sonstige Rechnungen“ ausgestellt werden dürfen und insoweit die eRechnungs-Pflicht nicht greift.
Zeitplan
Der Zeitplan des Wachstumschancengesetzes sieht dabei vor, dass bis 31.12.2026 für nach dem 31.12.2024 und vor dem 1.1.2027 ausgeführte Umsätze weiterhin die Erstellung von Papierrechnungen oder von Rechnungen in einem anderen elektronischen Format zulässig ist. Hier muss dann sicherlich bei Dauerleistungen wie zum Beispiel ein- oder mehrjährigen Software-Lizenzen oder separat berechneten Gebrauchtwagengarantien genauer auf die Fristen geachtet werden, da diese in der Regel mit dem Ende der Vertragsperiode als ausgeführt gelten.
Kleine Unternehmen, deren Gesamtumsatz im betreffenden Vorjahr weniger als EUR 800.000 betrug, haben sogar noch ein weiteres Jahr mehr Umstellungszeit. Damit würde erst ab 2027 für größere und erst ab 2028 für alle Unternehmen im inländischen B2B-Bereich die Pflicht zur Erstellung von eRechnungen gelten. Dies deckt sich auch mit den veröffentlichten Plänen der EU-Kommission, für innergemeinschaftliche Lieferungen und Leistungen die eRechnungs-Pflicht einzuführen. Allerdings ist diesbezüglich zu vernehmen, dass es hierbei zu Verzögerungen von mindestens einem Jahr kommen wird.
Die EU-Kommission will darüber hinaus basierend auf den eRechnungen auch ein sogenanntes „Echtzeit-Reporting“ einführen. Das heißt, dass die Rechnungsdatensätze binnen weniger Tage nach Erstellung bzw. Leistungserbringung einzeln an die Finanzverwaltung gemeldet werden müssen. Dadurch entfiele dann zumindest die Notwendigkeit und Verpflichtung der Zusammenfassenden Meldungen.
Der deutsche Gesetzgeber will dieses „Echtzeit-Reporting“ dann auch auf die inländischen Umsätze übertragen, hat hierzu jedoch noch keinen Zeitplan veröffentlicht. Zunächst steht hier wohl das funktionierende Erstellen und Empfangen von eRechnungen im Vordergrund.
Zeitdruck
Der Empfang von eRechnungen ist dabei der Bereich, in dem aktuell der größte Zeit- und Handlungsdruck besteht. Denn während es bei der Verpflichtung zur Erstellung von eRechnungen noch mehrere Jahre Übergangsfrist gibt, ist dies auf der Rechnungseingangsseite nicht der Fall. Hier ist gemäß Wachstumschancengesetz jeder Unternehmer verpflichtet, ab dem 1.1.2025 eRechnungen zu empfangen, wenn ein Lieferant oder Dienstleister seinerseits bereits freiwillig eRechnungen erstellt und versendet. Dies betrifft ausnahmslos jeden Unternehmer, der Lieferungen oder Leistungen für sein Unternehmen bezieht. Das heißt, dass nicht nur alle Unternehmen einer Unternehmensgruppe, sondern auch Komplementärgesellschaften, Unternehmer mit umsatzsteuerfreien Umsätzen wie zum Beispiel Vermieter, Kleinunternehmer wie zum Beispiel Nebenerwerbsgewerbetreibende oder Photovoltaikanlagenbetreiber ab 1.1.2025 verpflichtet sind, organisatorische und technische Vorkehrungen für den Erhalt von eRechnungen zu treffen.
Insbesondere größere Unternehmen mit mehreren Filialen und/oder vielen Außendienstmitarbeitern werden sich dabei organisatorischen Herausforderungen stellen müssen, dass das Unternehmen stets die originale Eingangsrechnung erhält, verarbeitet und revisionssicher archiviert und trotzdem die sachliche Rechnungseingangsprüfung gewährleistet bleibt. Insofern wird auch das Thema der Verfahrensdokumentation, welche bereits jetzt in vielen Betriebsprüfungen von der Finanzverwaltung angefordert wird, zunehmend Bedeutung erfahren.
Paradigmenwechsel
Hinzu kommt, dass mit den eRechnungen ein deutlicher Paradigmenwechsel stattfindet. So war es bislang bereits möglich, elektronische Rechnungen in Form einer sichtbaren Rechnung (zum Beispiel im PDF-Format) mit einem elektronischen Datensatz zu verbinden, sodass eine automatisierte Verarbeitung möglich war. Hierbei ist/war jedoch in der Regel der sichtbare Teil der Rechnung entscheidend.
Zukünftig – dies hat die deutsche Finanzverwaltung bereits ausgeführt – wird der Inhalt des Datensatzes einer eRechnung der führende Inhalt einer Rechnung sein. Sollte es also zu inhaltlichen Abweichungen kommen, ist im Zweifel der Inhalt des strukturierten Datensatzes entscheidend. Um also keine Überraschungen zu erleben, sollten ab 1.1.2025 Vorkehrungen getroffen werden, um bei empfangenen eRechnungen auch den strukturierten Datensatz auslesen und diese revisionssicher archivieren zu können. Es ist zu erwarten, dass dies insbesondere die kleineren Unternehmen vor größere Herausforderungen stellen wird. Einen Weg, sich diesem steuerlichen Digitalisierungszwang zu entziehen, wird es aller Voraussicht nach nicht geben.
Stan Guthmann
Steuerberater
Kommentar:
Die Einführung der eRechnung wird für alle Unternehmen eine mehr oder weniger große Herausforderung werden. In jedem Fall gilt es ausnahmslos für jeden Unternehmer, gerade für den Bereich der Eingangsrechnungen bereits jetzt organisatorische Vorkehrungen zu treffen. So muss insbesondere sichergestellt werden, dass die strukturierten Datensätze ausgelesen, idealerweise auch verarbeitet und revisionssicher archiviert werden können. Je nach bisheriger interner Organisation, kann dies deutliche organisatorischen Veränderungen mit sich bringen – und auch die Chance für Prozessoptimierung bieten. Hierbei sind jedoch aus steuerlicher Sicht stets die „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form (GoBD)“ zu beachten. Infolgedessen wird die Notwendigkeit der Erstellung von sogenannten Verfahrensdokumentationen deutlich zunehmen.
Für den Bereich der ausgehenden Rechnung sollten alle Unternehmer mit dem eigenen IT-Anbieter in Kontakt zu bleiben, dass die Funktionalität zur Erstellung von eRechnungen – je nach Wunsch – kurz oder mittelfristig zur Verfügung stehen wird. (Nicht nur) kleinere Unternehmen können auch auf kostenlose Open Source-Tools bzw. regístrierungslose Masken im Internet zur Erstellung von elektronischen Rechnungen zurückgreifen. Zudem sollte gerade bei der Leistungserbringung sowohl an Unternehmens- als auch an Privatkunden organisatorisch sichergestellt werden, dass man Unternehmenskunden auch als solche erkennt. Denn andernfalls wird man der Verpflichtung zur Erstellung von eRechnungen schlecht nachkommen können.
Maximilian Appelt
Rechtsanwalt | Steuerberater